(9) Seekrank im nördlichsten Fischerdorf der Welt 

Unser Etappenziel Nordkap erreichen wir heute erstmal nicht. Teddy leidet unter der kurvenreichen Strecke und man sieht ihm an, dass ihm richtig übel ist. Um ihn zu beruhigen gebe ich das Steuer an Thorsten ab und setze mich zu ihm nach hinten auf die Rückbank. Dort merke ich schnell am eigenen Leib, wie schlimm sich die Kurven außerhalb von Fahrer- und Beifahrersitz tatsächlich anfühlen. Der Hund fühlt sich in Gesellschaft wohler, mir hingegen ist es etwas flau im Magen. Die noch zu fahrende Strecke zieht sich wie Kaugummi. Nur noch wenige Kilometer, dann sind wir endlich da.


Wir landen in Skarsvåg, dem nördlichsten Fischerdorf der Welt mit weniger als 100 Einwohnern. Beim Abendessen genießen wir den Ausblick auf eine Gruppe Rentiere, die vor unserem Camper grast. In Gesellschaft schmeckt es eben doch am Besten.

Am Himmel bahnt sich ein richtiges Lichtspektakel an. Wir beeilen uns und gehen den Hügel hinauf um noch ein paar Sonnenstrahlen einzufangen. Der Weg hat sich gelohnt, wir erleben eine magische Abendstimmung und genießen den Sonnenuntergang in atemberaubender Umgebung.

Am nächsten Morgen ist es so weit. Nächster geplanter Halt: Nordkap, Sehnsuchtsort und Traumziel vieler Menschen.

Die Fahrt dort hin durch die karge Natur ist beeindruckend. Vor lauter Staunen rausche ich am Pförtnerhäuschen vorbei. Der Mann flucht, die Kassiererin lacht und händigt uns ein kostenloses Ticket für den Parkplatz aus. Dort stehen schon unglaublich viele Busse und es kommen noch etliche dazu. Wir beobachten das touristische Treiben aus sicherer Entfernung. Auch wir sind dort, 71°10'21" nördlicher Breite, 514 Kilometer nördlich des Polarkreises. Die Landschaft ist spektakulär, wir stehen an über 300 Meter hohen Klippen und schauen hinunter auf das tiefblaue Meer.


Geographisch ist das Nordkap erst seit 1999 der nördlichste Punkt Europas, der über das Straßennetz erreichbar ist.

Der tatsächlich nördlichste Punkt liegt auf der westlich benachbarten Landzunge der Insel Magerøya. Sie reicht rund 1400 Meter weiter nach Norden.


Der Wetterbericht kündigt Sturm für den Nachmittag an und wir wollen die kurze Zeit zum Wandern nutzen, bevor wir vom aufkommenden Wind gänzlich davon geweht werden. Eigentlich ist es kaum zu glauben, dass es am Nordkap auch ruhigere Eckchen gibt, aber wir werden fündig. Der Wind bläst uns klare Luft entgegen und nur wenige Hundert Meter von uns entfernt tummeln sich die Gruppen am Globus für das beste Foto. 

Mit vom Wind zerzaustem Haar und von der Meeresbrise geküsst, wärmen wir uns kurz auf, bevor wir den Rückweg antreten. 

In Skarsvåg merkt man noch nicht sehr viel vom aufkommenden Sturm und so erkunden wir den kleinen Hafen, an dem es nach Meerestieren duftet. Hier werden die berühmten Königskrabben gefangen. Überall kreisen Möwen am Himmel, in der Hoffnung etwas von den Fischerbooten zu ergattern.


Die Königskrabbe wurde gegen Ende der 1960er in der Barentssee von russischen Forschern in der Nähe von Murmansks ausgesetzt. Sie verbreitete sich schnell und hat somit die Versorgungslage für die Bevölkerung verbessert. Die Krabbe hat eine Lebenserwartung von bis zu 30 Jahren und kann ein Gewicht von mehr als 15 Kilo und einer Beinlänge von ca. 180 cm erreichen. Die Weibchen legen zwischen 400.000 und 500.000 Eiern wovon ca. 2 % das Erwachsenenalter erreichen.


In Skarsvåg gibt es tatsächlich ein kleines Aquarium, in dem man sich mit einer Königskrabbe fotografieren lassen kann, essen kann man sie im Anschluss dann auch noch. Wir unterstützen diese Art von Tourismus nicht und fahren zu unserem letzten Stellplatz, um den Sturm abzuwarten und unseren Camper auf Vordermann zu bringen.


Da sitzen wir also, an einem Dienstag, im nördlichsten Fischerdorf der Welt; die Wäsche frisch gewaschen, alles ordentlich geputzt und aufgeräumt, und warten bis der Sturm vorüberzieht. Das Auto schaukelt wie ein Schiff auf hoher See bei starkem Wellengang, und wir machen es uns bei einer Kanne Tee gemütlich.


Nur Hundebesitzer kennen das Erlebnis. Gassi bei Wind und Wetter. Auch bei Sturm.

Teddy ist zum Glück sicher an der Leine, er wird draußen mehrfach von einer Böe erwischt und weggeweht. Wie die Kinder haben wir einen Riesenspaß, stellen uns gegen den Wind und fallen dabei nicht um. Windgeschwindigkeiten von 108 km/h sind ordentlich, vor allem wenn noch die ein oder andere stärkere Böe hinzu kommt. Zum Glück kommt der Wind die meiste Zeit konstant aus einer Richtung sodass wir unser fahrendes Zuhause nicht umparken müssen. 

Die Chance, dass der Camper im Stand kippt, ist gering, Thorsten stellt aber trotzdem kurz eine Berechnung auf. Sicher ist sicher.

Tatsächlich gibt es aber auch ein paar Wahnsinnige, die versuchen, sich mit den Naturgewalten anzulegen. Sie starten den Motor, kurz bevor die Straßen gesperrt werden. Der Besitzer des Platzes erzählt uns am Abend, dass einige Camper auf dem Weg in Richtung Honningsvåg unglücklich im Graben gelandet sind.

Wir sind froh, dass wir der Vernunft gefolgt sind und den Dienstag zu einem gemütlichen Sonntag erklärt haben.