(23) Eisige Zeiten, Frühlingsgefühle und ein königliches Treffen

Der Januar will irgendwie nicht enden und es zieht ein Schneesturm nach dem anderen über das Land. Wir verbringen sehr ruhige Tage und sind gefühlt Dauer-müde. Auch der Hund ist nicht aus dem Bett zu kriegen. Wir sind die meiste Zeit drinnen, kochen, lesen, schauen Filme, und kuscheln uns warm ein. Auch ein Besuch in der Sauna ist Balsam für die Seele.
Nach unglaublich zähen zwei Wochen ändert sich endlich das Wetter. Es ist Freitag, der 13. Januar und wir sehen seit Wochen das erste Mal die Sonne. Wir sind erstaunt, wie viel Kraft die warmen Strahlen schon haben und verbringen den gesamten Tag draußen. Wo wochenlang nur Dämmerstimmung war, ist nun wieder warmes Licht, das es schon wieder fast über die Baumwipfel schafft. Die Natur entwickelt sich zu einem besonderen Schauplatz, mit all dem glitzernden Schnee, den ersten Sonnenstrahlen des Jahres und ihren langen Schatten. Auch in uns werden die Geister des Frühlings langsam wach. Erst am Abend stellen wir fest, wie tief das Thermometer unter null gesunken ist. Während unseres Ausflugs hatten wir -24 Grad. Kein Wunder, dass sich unsere Nasenhaare stellenweise so seltsam angefühlt haben. Sie sind eingefroren.

Weiterhin sind wir alleine auf dem Campingplatz und gehen unseren Hausmeistertätigkeiten nach. Auch ein paar Gäste kommen zu Besuch, die wir gerne willkommen heißen und während ihres Aufenthalts betreuen.
Zu melden gibt es mehrere kleinere, netzbedingte Stromausfälle und zu Eis erstarrte Dachlawinen. Letztere sind ein richtiges Übel und wir versuchen unser Bestes, um sie zu beseitigen und die Eingänge wieder freizubekommen. Muskelkater ist uns sicher. Nach mehreren Stunden täglichem Schnee- und Eisworkout sehen wir Erfolge. Unsere kleine Campingaxt und unser Klappspaten sind uns dabei eine große Hilfe. Das Wetter schwankt zwischen zweistelligen Minustemperaturen und einstelligen Plus-Temperaturen innerhalb weniger Stunden. Glücklicherweise kommt regelmäßig ein Nachbar mit dem Bagger zum Streuen vorbei. Ansonsten könnte man auf dem Platz an manchen Tagen problemlos eine Eislaufbahn eröffnen. Dank unserer Spikeaufsätzen für die Schuhe, kommen wir auch auf glatten Flächen ohne Probleme vorwärts. Wie blöde nur, wenn sie im Auto liegen. Dann ist der Weg dorthin einfach nur rutschend auf Knien zu bewältigen.

Nach eisigen Zeiten folgen endlich wieder mehrere schöne Sonnentage, die wir sehr genießen. Die Tage werden spürbar länger und heller. Wir wussten nicht, dass man die Sonne vermissen kann. Auch unsere Gemüter stellen sich auf den nahenden Frühling ein. Wir wachen früh am Morgen auf, gehen spät ins Bett und verbringen die Zeit dazwischen draußen in der wilden Natur. Oft sind wir stundenlang in den Wäldern unterwegs. Man begegnet in diesen Momenten keiner Menschenseele. Wir finden frische Elchspuren und einige Rehe und Polarhasen kreuzen unseren Weg. Rentiere haben wir schon einige Zeit nicht mehr gesehen. Eigentlich sind sie zu dieser Zeit ziemlich sesshaft. Durch die schwankenden Temperaturen im Plus und Minusbereich, friert jedoch die obere Schneedecke und es wird immer schwieriger für die Tiere, mit ihren Hufen an Nahrung zu kommen. Manche sagen, es liegt am Klimawandel. Andere erzählen uns, dass es schon vor vielen Jahrzehnten ähnliche Winter gegeben hat. Die Dorfälteste ist 98 Jahre alt. Ihr Sohn berichtet uns, dass seine Mutter in jungen Jahren schon Winter erlebt hat, in denen es viel geregnet hat und die Temperaturen im Februar oft im Plus-Bereich waren.



Wir stellen fest, dass die besten Polarlichter zu sehen sind, wenn es richtig kalt ist. Bei minus 20 Grad erleben wir oft eine Farbexplosion am Nachthimmel. Obwohl wir oft sehr müde vom langen Tag sind und abends nach der letzten Gassirunde einfach nur noch ins Bett fallen wollen, machen wir die Nacht zum Tag. Wenn der Himmel mal wieder in allen Farben schimmert, muss man einfach wach bleiben und das Spektakel beobachten. Das kann auch mal bis weit nach Mitternacht gehen. Die intensivsten Sichtungen haben wir immer zwischen 1 und 3 Uhr nachts gesehen. Zum Aufwärmen gibt es zwischendurch immer eine schöne heiße Tasse Tee. Wir fragen uns jedes Mal, ob man sich jemals an der Farbenpracht sattsehen kann?

Mittlerweile ist es schon Februar und nicht nur mein Geburtstag, sondern auch der nächste Besuch aus Deutschland steht vor der Tür. Mein Vater kommt für ein paar Tage in den kalten Norden. Die Vorhersagen für Polarlichter in den nächsten Tagen sind sehr positiv.
Während unserer gemeinsamen Zeit jagt ein Ausflug den Nächsten.
Immer mit dabei: unsere Kamera. Bei einem Besuch an der zugefrorenen Ostsee lassen wir die Szenerie auf uns wirken. Mir wird bewusst, dass jeder eine andere Motivauswahl hat, denn intuitiv geht jeder in eine andere Richtung, um die schönste Szene festzuhalten. An einem Toilettenhäuschen aus Holz mitten im Wald treffen wir uns wieder. Das Motiv möchte jeder von uns festhalten, nur eben aus einer anderen Perspektive.

Am nächsten Tag sind wir spontan mit unseren schwedisch-finnischen Nachbarn und Teddys großer Liebe Molly zum Eisfischen verabredet. Sie will leider immer noch nichts von ihm wissen, und das, obwohl Teddy ihr nach wie vor so schöne Augen macht.
Es soll ein wunderschön sonniger Tag werden und so planen wir ein Lagerfeuer mit Würstchen, Waffeln und Kaffee. Und wer weiß, vielleicht grillen wir ja auch unseren selbst geangelten Fisch?
An der Ostsee ankommen, wird das Feuer an der Grillstelle entfacht und ein eisiger Wind beginnt über die Freifläche zu fegen. Der Rauch vom Lagerfeuer weht uns ins Gesicht und lässt uns zu kleinen Räuchermännchen werden. Wir lassen uns den Moment aber nicht vom launischen Wetter vermiesen und machen das Beste aus dem Tag. Gemeinsam stapfen wir eisern auf die Ostsee, um ein Loch fürs Eisfischen zu bohren. Spontan haben sich noch zwei deutsche Auswanderer zu uns gesellt, um mit uns das Abenteuer zu wagen.
Nordschweden ist so dünn besiedelt, dass einem auf hunderte Kilometer kein einziges Auto entgegenkommen kann. Bei uns ist es irgendwie oft anders, und wir treffen auch in der größten Einöd auf bekannte Gesichter.

Obwohl der Wind einen beim Hinsetzen fast vom Stuhl fegt, haben alle einen riesengroßen Spaß. Natürlich trage ich zur Stimmung bei, denn ich falle tatsächlich fast vom Stuhl. Die Fische führen uns an der Nase herum und klauen die Würmer vom Haken ohne Anzubeißen. Auch sie haben unter Wasser sicher den Spaß ihres Lebens. Ohne Wind könnte man es hier stundenlang, trotz Minustemperaturen, sehr gut aushalten. Wenn man da so auf dem zentimeterdicken Eis sitzt, nimmt man alles um einen herum sehr bewusst wahr. Der Wind, der einem um die Ohren pfeift. Hier und da ein Knacken im Eis. Die kleinen runden Eisstücke, die beim Bewegen der Angel im Angelloch auf und ab tanzen, und dabei klirrende Geräusche machen. Der Wind fegt an einem vorbei und nimmt jeden aufkeimenden Gedanken mit sich.

Auch eine Fotosafari bei Nacht steht auf unserem Plan. Teddy bekommt einen sturmfreien Abend und lümmelt sich ins warme Bett. Wir packen unsere Fotorucksäcke, kochen heißen Tee und fahren in die Dunkelheit. Die Nacht ist sternenklar und zu unserer Freude ziehen einige Polarlichter über den Himmel. Was lange währt, wird endlich gut: Thorsten ist mächtig stolz, dass die Fotos endlich gelingen. Obwohl es draußen zweistellige Minustemperaturen hat, ist uns mollig warm und wir tragen nicht einmal Handschuhe. Es ist kurz vor Mitternacht, wir stehen mitten im Wald und trinken heißen Tee, während über uns ein wunderschöner Sternenhimmel für uns funkelt.

Morgen ist mein Geburtstag und schon heute, am Vorabend, duftet es überall nach leckerem Kuchen. Thorsten zaubert seinen für mich weltbesten Marmorkuchen mit Sahnelikör und Schokoladenüberzug. Jedes Jahr aufs Neue ist das für mich das schönste Geschenk. Kann denn bitte schon morgen sein?

Wir möchten ein paar schöne Erinnerungen für uns sammeln und freuen uns auf einen Besuch im Tierpark in Överkalix. Am Morgen weckt uns Teddy und zaubert uns ein riesiges Lächeln ins Gesicht. Über den Winter haben wir ihm so einige neue Tricks und Kommandos beigebracht. Hasli, bzw. Männchen, war eines davon. Er hat bisher immer eine Stütze an der Wand gesucht, doch heute, voller Konzentration, sitzt er da und hebt die Vorderpfoten in die Luft. Wir sind mächtig stolz, mittlerweile so eine intensive Bindung zu dem Kleinen aufgebaut zu haben. Auch wenn es nach wie vor noch viele Baustellen gibt, sind wir auf einem guten Weg und feiern jeden noch so kleinen Trainingserfolg.
Nach einem leckeren Frühstück starten wir in den Tag. Aufgrund des Tauwetters der letzten Tage sind die Straßen abseits der Hauptwege in einem desolaten Zustand. Mit Eis bedeckte Schlaglöcher überraschen uns mehrfach auf dem Weg.

In Överkalix angekommen, klingelt mein Handy im Minutentakt. Ich freue mich über Anrufe von den Schwiegereltern, Freunden  und meinen ehemaligen Arbeitskolleginnen.
Nach einer wundervollen Stunde von Vergangenheitsgeplänkel und Zukunftsideen besuchen wir die Könige von Schweden. Der Elch ist die größte Hirschart der Welt. Sie können bis zu 60 h/km schnell rennen und eine Schulterhöhe von über 2 Metern erreichen.
Elche sind hervorragende Schwimmer und zu ihrer Lieblingsmahlzeit zählen Wasserpflanzen, Rinde, Blätter und junge Baumtriebe. Ein erwachsener Elch nimmt bis zu 10 Kilo Raufutter am Tag auf. Elche sind Wiederkäuer und haben, wie die Kuh, vier verschiedene Mägen (Pansen, Netzmagen, Laubmagen und Steiß). Beim Wiederkäuen wird die Nahrung aufgeworfen, erneut zerkaut und vom nächsten Magen weiterverarbeitet. Sobald die Nahrung den Pansen erreicht, wird sie so weit zersetzt, dass sie in den Darm gelangt und von dort als feste Bällchen ausgeschieden wird. In Gefangenschaft können Elche bis zu 20 Jahre alt werden. In freier Wildbahn werden sie leider nicht so alt, unter anderem auch, weil sie jedes Jahr in ganz Skandinavien einige Tausend Verkehrsunfälle verursachen.

Im Park kommen wir den Elchkönigen namens Oskar, Franz und Arthur ganz nahe. Wir dürfen sie streicheln und mit Obst und Gemüse füttern. Sie lieben Karotten und Bananen. Das Gehege ist riesig und der samische Besitzer erzählt uns, dass er alle seine Tiere großgezogen hat und jede Eigenheit von ihnen kennt. Für uns geht ein Traum in Erfüllung, die wunderschönen Geschöpfe einmal zu erleben. Die starken Geweihe der Bullen können ein Gewicht von bis zu 20 Kilo erreichen und werden auch für einen Angriff oder deren Verteidigung eingesetzt. Weibchen hingegen nutzen ihre Vorderhufe, indem sie nach vorne austreten, um sich und vor allem ihr Kalb zu schützen.

Nach einer Fika Pause mit frischen Waffeln und einem Tee, bietet uns der Besitzer an, auch seine Rentierherde zu besuchen. Er sagt uns, dass sie etwas außerhalb, mitten im Wald lebt. Mitten im Wald?! Das lässt uns schmunzeln, wenn man bedenkt, dass ganz Schweden eigentlich ein großer, unendlicher Wald ist. Wir bekommen eine Führung und erfahren viel über die Tiere.

Zu einigen hat er eine besondere Bindung aufgebaut und ihnen sogar Namen gegeben.

Er freut sich sehr darüber, dass auf meiner Jacke die samische Flagge abgebildet ist und erklärt sie uns mit leuchtenden Augen.
Rot steht für Feuer, Wärme und die Liebe, Grün für die Natur und die Pflanzenwelt, Gelb symbolisiert die Sonne und blau steht für das Wasser. Der Kreis ist farblich geteilt und steht ebenso für die Sonne (rot) und den Mond (blau). In seinen Worten bedeutet die Darstellung "Forever Love".
Wir verabreden uns für den Nachmittag. Dann dürfen wir wiederkommen und bei der Fütterung helfen. Bis dahin ist noch etwas Zeit, und so machen wir uns noch tiefer auf in den schwedischen Wald und gehen mit Teddy spazieren.

Zurück am Gehege füllen wir Futter aus den Silos in einen Anhänger hinter dem Schneemobil. Ich darf hinten Platz nehmen, während der Besitzer ordentlich Gas gibt. Thorsten filmt das Ganze und bleibt in sicherer Entfernung.
Die Tiere freuen sich sehr über ihre Mahlzeit und sind sehr zutraulich, zumindest während sie Fressen.
Eine unglaublich tolle Erfahrung, die wir nie im Leben vergessen werden.

Zum Abschluss eines wunderschönen Tages laden uns die Campingplatzbesitzer Verena und Daniel zu einem unglaublich leckeren Raclette ein. Zum Nachtisch gibt es von allen ein kleines Geburtstagsständchen und den leckersten Kuchen der Welt.

Ende Februar soll die Fahrt für uns weitergehen, doch dann durchkreuzt eine fiese Grippe unsere Pläne und kettet uns fast zwei Wochen ans Bett.
Verena versorgt uns mit frisch gebackenem Brot nach Schweizer Rezept. Wir sind sehr dankbar darüber, denn zum Kochen fehlt uns oft die Kraft. Es ist noch warm und wir lassen es uns mit gesalzener Butter und frischen Tomaten schmecken. Wir genießen jeden Bissen und merken, dass wir der schwedischen Brotkultur aus dem Supermarkt leider bisher nichts abgewinnen konnten. Die Brote hier sind alle weich und labbrig. Und wir können da mitreden, denn wir haben fast jedes Einzelne probiert.

Wir nutzen die Zeit, um darüber nachzudenken, wie wir uns die weitere Reise vorstellen. Fahren wir nochmal Richtung Norden? Geht es über das Baltikum bis nach Griechenland? Fahren wir Richtung Spanien? Bleiben wir vielleicht doch noch hier?

Im Dorf haben wir mittlerweile viele Bekanntschaften gemacht. Sie alle wollen gar nicht, dass wir jemals wieder von hier fortgehen.
Sogar einen alten Hof von 1700 haben wir uns angesehen, um eine Vorstellung zu bekommen, wie die Häuser hier früher gebaut wurden. In allen Ecken und Wänden kann man die Geschichte förmlich riechen und für einen Moment stellt man sich gerne vor, wie hier früher gelebt wurde.

Obwohl nun laut den Schweden die schönste Jahreszeit beginnt, haben wir beschlossen, in Richtung Süden aufzubrechen. Aber nicht wie geplant im Februar, sondern erst im März.

Denn warum fortgehen, wenn es gerade so schön ist? Vor der Abfahrt sind noch viele Verabredungen im Dorf und der Umgebung geplant. Wir treffen uns zum Hundetraining, es gibt Pizza im alten Schwedenofen, wunderbare Fika Nachmittage mit tollen Kuchenkreationen, Lagerfeuer am See und gemütliche Abende in der Grillhütte. Die Kids aus dem Dorf laden uns zum Schlittenfahren ein, und eine Schneescooter Tour steht auch noch auf dem Programm. Über mangelnde soziale Kontakte können wir uns auf jeden Fall nicht beklagen, und das in dieser dünn besiedelten Region von Nordschweden. Das bringt uns immer wieder zum Lachen.

Auch Teddy hat sehr viele neue Hundefreundschaften geschlossen. Sein kleiner Freund Lutz ist leider sehr plötzlich über die Regenbogenbrücke gegangen. Das hat uns alle ziemlich getroffen, da wir ihn über mehrere Monate täglich gesehen haben, und Teddy sich so einige guten Eigenschaften bei ihm abgeschaut hat.



Nach diesem langen Winter können wir für uns festhalten, dass wir uns in den Norden verliebt haben. Die Ruhe und Einsamkeit in den Wäldern, die Natur, das Wetter, die Gemütlichkeit der Schwedenhäuser, vor allem aber die unglaublich liebenswerten Menschen sind es, die Schweden für uns zu dem machen, was es ist: ein lebenswertes Land.

Wir sind dankbar für jeden einzelnen Tag und jeden einzelnen Moment, den wir hier im kalten und herzlichen Norden verbringen durften.

Danke Schweden, für ein unglaublich schönes Winterabenteuer. Wir sehen uns ganz bestimmt wieder!


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