Mittlerweile sind wir schon fast zwei Wochen alleine auf dem Campingplatz. In der Abwesenheit der Besitzer schauen wir hier nach dem Rechten und sind sozusagen Hausmeister auf Zeit. Dank der Schneemassen, die hier fast täglich vom Himmel fallen, ist auch das regelmäßige Sportprogramm gesichert. Die ersten Tage waren komisch, so ganz alleine auf diesem riesigen Platz, aber wir haben uns tatsächlich recht schnell daran gewöhnt. Einige Nachbarn kommen regelmäßig vorbei, um zu fragen, wie es uns geht.
Am Heiligabend ist es draußen klirrend kalt, und wir sitzen bei Kerzenschein in der Küche, während am Himmel die Polarlichter in ihrer grünen Farbenpracht tanzen. An Weihnachten gibt es in schwedischen Haushalten ein Buffet aus kalten und warmen Speisen. Wir bringen ein wenig badischen Heimatflair in die vier Wände und essen Kartoffelsalat mit Würstchen. Dazu gibt es eine Auswahl an verschiedenen Senfsorten, die wir unbedingt probieren wollen. Zu unserer Überraschung schmecken alle Sorten süß.
Nach dem Essen ist Familienzeit angesagt. Da wir keinen davon überzeugen konnten, uns über die Feiertage im hohen, kalten Norden zu besuchen, sitzen wir vor dem PC und unterhalten uns per Videotelefonie. Natürlich will jeder von der ganzen Familie mit uns sprechen und wir brauchen fast schon einen Zeitplan, damit wir alle Gespräche unter einen Hut bekommen.
Bei einem Glas Wein stellen wir uns vor, wie es wäre, alle zusammen in einer Konferenzschaltung zu haben – oder noch besser: Alle zusammen bei einem gemeinsamen Weihnachts-Familienfest in Nordschweden, eingeschneit in einer urigen Hütte. Wenn man das ganze dann noch Filmen würde, wäre das sicher eine lustige Komödie. Alleine die Vorstellung erheitert uns doch sehr.
Was wären die Feiertage ohne Weihnachtsfilme? Bei uns dürfen sie in keinem Fall fehlen, und so steht der erste Weihnachtsfeiertag ganz im Zeichen lustiger Filme à la "Eine schöne Bescherung" und "Kevin – Allein zu Haus".
Für den 2. Weihnachtsfeiertag sind wir bei Nachbarn in einem schwedisch-finnischen Haushalt zur Fika Stunde eingeladen. Als Willkommensgruß haben sie in der Einfahrt Eisfackeln aufgestellt. Es gibt leckeres, hausgemachtes Gebäck. Während wir uns die süßen Stückchen zu einem Kaffee schmecken lassen, wird unter dem Tisch ein kleines Konzert eröffnet. Der kleine Teddy versucht sich an die etwas ältere Hundedame Molly ran zuschmeißen. Er macht ihr schöne Augen und winselt ihr in den höchsten Tönen etwas vor. Doch alles vergeblich. Bei jedem Annäherungsversuch brummt sie ihn an und zeigt kurz ihre weißen Zähne. Teddy lässt sich aber davon nicht irritieren und schießt weiterhin ein paar Liebespfeile in Richtung seiner Angebeteten. Ob er auch mal trifft? Wer weiß. Wo die Liebe eben hinfällt. Und wir wissen ja, wie schnell der Kleine sich verlieben kann.
Während draußen ein unglaublicher Schneesturm über den Norden Schwedens zieht, sitzen wir in diesem wunderschönen, gemütlichen Haus mit zwei wundervollen Menschen. Aus dem Lautsprecher der Stereoanlage ertönt „Kling Glöckchen, Klingeling", „Oh Tannenbaum“ und noch so weitere musikalische deutsche Schmankerl. Wir trinken leckeren Sahnelikör und bekommen erklärt, dass das Likörgetränk mit dem orangenen Hirsch von den Schweden doch tatsächlich "Besserwisser" genannt wird. Kommt ja schließlich aus Deutschland, da muss ein passender Name einfach her.
Wir spielen das schwedische Kartenspiel namens 500 und lernen so auch direkt ein paar Zahlen auf Schwedisch. Die Regeln des Spiels erinnern uns sehr an die von Canasta.
Wir tauschen uns über die Eigen- und Besonderheiten der Schweden und der Deutschen aus, müssen sehr oft den Kopf schütteln und noch öfter lachen, am meisten aber über unsere eigene Kultur."
Vor allem, wenn es um das Thema Einkaufen geht. Im Vergleich zu einem Einkauf in deutschen Supermärkten, ist der Einkauf hier im Norden schon fast meditativ. An der Kasse wird ein Artikel nach dem anderen aufs Band gelegt und man hat auch in Ruhe Zeit, seinen Einkauf nach dem Bezahlen zurück in den Wagen zu räumen. Beim Erzählen, wie der Einkauf in Deutschland bei manchen Discountern abläuft, werden die beiden fast schon bleich.
Das Wandern scheint übrigens auch so eine Eigenheit der Deutschen zu sein. Wir sind hier oben fast täglich bei Wind und Wetter draußen und drehen unsere Runden. Oft sind wir stundenlang in den Wäldern unterwegs und begegnen keiner Menschenseele. Dafür trifft man oft auf viele Vierbeiner oder deren Spuren im Schnee. Eichhörnchen, Hasen, Füchse, Vielfraße, Elche, Rentiere - es ist spannend zu sehen, was alles in den Wäldern hier oben unterwegs ist.
Uns wird erzählt, dass viele Schweden sich im Winter nicht so gerne zu Fuß fortbewegen. Da gibt es schließlich ja viel bessere Fortbewegungsmittel, wie auch wir finden. Tretschlitten, mit und ohne vorgespannten Hunden, Langlaufskier, Pferdekutsche oder eben mit dem Schneemobil. Als wäre von irgendwo ein Startschuss ertönt, fahren seit dem dritten Adventssonntag alle mit ihren Schnee-Scootern durch die Gegend. Viele davon düsen sogar über den zugefrorenen Fluss oder die Ostsee. Wir haben uns bisher noch nicht getraut über das Eis zu spazieren.
Unser Wunsch, weiße Weihnachten zu feiern, wurde mehr als erfüllt. Sogar der Julbock in Gävle hat die Tage unbeschadet überstanden und es sogar bis ins neue Jahr geschafft, ohne einem Verbrechen zum Opfer zu fallen. Er wird nun sicher aufbewahrt, um zum nächsten Weihnachtsfest wieder alle in Spannung zu versetzen.
Ein für uns unglaubliches Jahr neigt sich dem Ende zu.
Über Silvester bekommen wir spontan von unseren Freunden aus Deutschland Besuch. Gemeinsam lassen wir es uns bei gutem Wein und leckerem Essen gutgehen. Knapp sechs Monate haben wir uns nicht mehr persönlich gesehen. Es wird bis in die Morgenstunden gequatscht, gelacht und stundenlang Karten gespielt.
Wenn man sich so die Nächte um die Ohren schlägt, hat man bei klarem Himmel große Chancen auf Polarlichter. Direkt am ersten Tag im neuen Jahr gibt es welche für uns zu sehen. Obwohl wir Aurora inzwischen schon öfter haben tanzen sehen, ist es immer wieder aufs Neue etwas ganz Besonderes.
Am zweiten Tag sind wir in der Region unterwegs und sichten einen Elch, der seelenruhig in einem Privatgarten steht und genüsslich die Bäume anknabbert. Was sicher des Besitzers Leid ist, ist in dem Moment unsere Freude. Wir sind unglaublich glücklich, eines dieser wunderschönen Tiere, wenn auch nicht in ganz freier Wildbahn, sehen zu dürfen. Thorsten, Teddy und ich mussten nur knapp 10.000 km durch Skandinavien fahren, um welche zu sichten, und unsere Freunde haben sofort Glück. Ist das zu fassen?
Wir besichtigen die Stromschnellen Kukkolaforsen am Fluss Torneälv. Er bildet die Grenze zwischen Schweden und Finnland und mündet in Haparanda in den Bottnischen Meerbusen. Mit einer Länge von über 500 Kilometern ist er der letzte wilde Lachsfluss, und auch der sauberste in ganz Europa. Das Wasser ist sehr klar, da keinerlei industrielle Abfälle zur Verschmutzung beitragen.
Wir geben unser Bestes, um unsere zwei Freunde vom kalten und schneeweißen Nordschweden zu überzeugen. Nach einer gemeinsamen Woche können wir aber sagen, dass die beiden Kinder des Südens sind und auch bleiben werden. Auch ein von Thorsten selbst entfachtes Lagerfeuer bei knapp -20 Grad konnte sie nicht in den Bann des Nordens ziehen. Man kann es schön finden, 40 Grad in der Toskana aber auch. So sind Geschmäcker eben verschieden. Was ja auch gut ist. Wo kämen wir denn schließlich hin, wenn alle in den Norden wollten, und dann auch noch im Winter?
Die Tage fliegen nur so dahin, und am Flughafen wollen wir uns gar nicht so richtig loslassen.
Auf der Rückfahrt lassen wir die schönen gemeinsamen Tage Revue passieren.
Da wir uns ordentlich die Nächte um die Ohren geschlagen haben, brauchen wir nun erstmal eine ordentliche Mütze Schlaf.